Schwäne in Weiß und Gold - Geschichte einer Familie
Interview mit Christine von Brühl.
Christine von Brühl, Nachfahrin des berühmten sächsischen Ministers, spricht über Loyalität, Heimatverlust und eine preußische Hasskampagne.
Meine Familie hatte mit Dresden nichts am Hut
Wie lebt man mit einer Ahnenreihe, die sich über fast 700 Jahre zurückverfolgen lässt?
Früher hatte ich immer Angst, etwas falsch zu machen, immer und immer. Ich hatte das Gefühl, nicht hineinzupassen in diese Reihe. Oft habe ich rebelliert. Dann hieß es: Kannst du nicht einfach mal konform sein, das ist doch ganz einfach! Inzwischen komme ich damit zurecht. Je älter ich werde, desto höher steige ich im Rang. Das ist in der Adelshierarchie festgelegt: Ältere haben mehr Bedeutung als Jüngere, Männer mehr als Frauen, Fürsten mehr als Grafen. Da ist man eingekästelt. Aber es ist auch schön, sich in einem solchen Netz gehalten zu wissen. Ich habe wunderbare Nichten und Neffen, die sich mit Klima, Nachhaltigkeit und anderen brisanten Themen befassen, da fühlt man sich zu Hause.
Ihre Rebellion gipfelte darin, dass Sie 1997 auf Schloss Moritzburg einen Nicht-Adligen heirateten, der zudem Ostdeutscher, Künstler und ehemaliger Zeuge Jehovas ist. Hat sich die Familie inzwischen daran gewöhnt?
Ich glaube schon. Es sind auch viele gestorben, die mir noch reinreden könnten wie damals.
Wie viele Brühls sind Sie denn?
Etwa hundert. Wir haben aber auch 17 falsche Brühls gefunden, die sich so nennen, ohne mit uns verwandt zu sein.
Ihrem berühmtesten Vorfahren widmen Sie jetzt ein Buch. Heinrich von Brühl galt fast 300 Jahre lang als Intrigant und Verschwender, der den sächsischen Hof in den Ruin trieb. Wollen Sie ihn rehabilitieren?
Ich wollte genauer hinschauen. Denn dieses Bild konnte ich nicht in Übereinstimmung bringen mit meiner Familie. Sollte ein Mensch, von dem man abstammt, so ganz, ganz anders sein? Deshalb habe ich nach seinem Vater, seinen Geschwistern und Kindern geforscht, nach seinen Auftraggebern bei Hofe. Dabei konnte ich die akribische Arbeit vieler sächsischer Historiker und Kunstwissenschaftler nutzen. Sie zeigen Brühl als Mäzen, Sammler und Netzwerker, der einer langen Hasskampagne zum Opfer fiel.
Vertrauen Sie dieser Sicht, weil man lieber einen angesehenen Mann zum Vorfahren hat als einen Schurken?
Mich überzeugen die Argumente. Es ist verbürgt, dass Heinrich von Brühl 1730 im Zeithainer Lager Zeuge wurde, wie der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. seinen Sohn Friedrich schlug und demütigte. Friedrich wollte vor der Erziehungsgewalt fliehen. In der Folge wurde sein liebster Freund Katte mit dem Tod bestraft. Brühl hat den Fluchtplan womöglich verraten. Diese Vermutung liegt nahe. Warum sonst verlieh ihm der Preußenkönig seinen höchsten Orden? Brühls Verdienste um die Truppenschau waren nicht so groß, wie es oft dargestellt wird. Jedenfalls hatte er sich als junger Mann einen Feind geschaffen, der sich später bitter rächte. Im Siebenjährigen Krieg ließ Friedrich II. nicht nur die Palais und Güter von Brühl in ganz Sachsen plündern und zerstören. Er zerstörte auch seinen Ruf, nannte ihn einen Betrüger, der das Land ruiniert habe. Diese Sicht passte dem Dresdner Hof. Der Favorit von August dem Starken und dessen Sohn wurde gestürzt. Die Sammlungen und Schlösser in Dresden mussten verkauft werden. Friedrichs Sicht wurde fortgeführt in den populären Romanen des Polen Kraszewski und in der DDR-Fernsehserie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“. So etwas prägt.
Die Familie habe sich von dem Absturz nie erholt, schreiben Sie.
Ich habe mich manchmal gefragt, warum die Brühls nicht mit stolzgeschwellter Brust herumlaufen wie die Hardenbergs oder Liechtensteins, sondern zurückhaltend agieren, geradezu dünnhäutig und schüchtern. Eine Erklärung könnte in der Vergangenheit liegen. Heinrich von Brühl wurde nie rehabilitiert. Auch ihn stelle ich mir eher blass vor. Er war von Asthma geplagt, überließ Repräsentationspflichten oft seiner Frau. Er ging nicht gern zur Jagd. Das ist für Adlige undenkbar, auch heute noch.
Haben Sie selbst unter dem schlechten Ruf Ihres Ahnherrn gelitten?
Als ich Anfang der Neunzigerjahre nach Dresden kam, hörte ich ständig die Frage, die August der Starke angeblich seinem Minister stellte: Hab ich noch Geld, Brühl? Darauf hatte ich nie eine Antwort. Ich kannte den Fernsehfilm nicht, keine Zusammenhänge, ich war nur irritiert. Meine nächsten Verwandten haben sich nie als Sachsen empfunden. Meine Familie hatte mit Dresden nichts am Hut. Irgendwann hat es mich genervt, dass auf einem Mann herumgehackt wurde, der letztlich gar keinen Erfolg hatte und als Premierminister nicht mal ein Staatsbegräbnis bekam.
Immerhin trägt die Elbterrasse in Dresden seinen Namen.
Bis heute! Das ist interessant. Von den Bauwerken, die er auf dem Festungsplateau errichten ließ, ist fast nichts geblieben.
Meinen Sie, dass einer vom Silbertellerwäscher zum Millionär aufsteigen und anständig bleiben kann?
Der Aufstieg von Heinrich von Brühl begann, als er Rechnungen in den Nachlässen der Minister Flemming und Wackerbarth prüfte und dem König das Ergebnis vorlegte. Es sah nicht gut aus. Offenbar genügte diese Ehrlichkeit, um ein Amt zu bekommen und noch eines und noch eines. Brühl wurde mit immensen Machbefugnissen ausgestattet. Er war August dem Starken und dessen Sohn immer sehr nahe. Seine Stärke liegt in seiner Loyalität.
Sie finden gar kein Haar in der Suppe?
Ich habe nichts gefunden, was mich empört hätte. Eher habe ich Ähnlichkeiten entdeckt. Die privaten Briefe von Heinrich von Brühl sind oft sehr gefühlvoll – das kenne ich aus Briefen meines Vaters. Wir wurden zwar streng und korrekt erzogen, doch viele in der Familie sind mit einer ausgeprägten Emotionalität unterwegs und jederzeit leicht zu Tränen zu rühren.
Gab es in der Familie Restitutionsansprüche wie bei den Wettinern oder den Hohenzollern?
Ich weiß nur von einem Versuch, ein Vorwerk in der Lausitz zu bekommen. Das gab die Treuhand einem LPG-Nachfolger. Heinrich von Brühls Gemäldesammlung befindet sich in St. Petersburg. Seine Privatbibliothek mit rund 62.000 Bänden wird in Dresden in der Slub aufbewahrt, der Landes- und Universitätsbibliothek. Darauf bin ich stolz. Und ich war unendlich dankbar, als unser Familienoberhaupt 2004 den Leihvertrag mit der Dresdner Porzellansammlung über Stücke aus dem Brühl´schen Schwanenservice verlängerte. Denn das ist das Hauptmotiv meines Buches: Dass es nicht um Besitz geht, sondern um Zusammenhalt, um Verantwortung, um identitätsstiftendes Wirken. Das ist kein Vorrecht des Adels.
Das berühmte Service ist das Leitmotiv Ihres Buches, Symbol des Zusammenhalts wie des Verlustes. Trinken Sie den Morgenkaffee aus einer Schwanentasse?
Ich habe zur Hochzeit eine solche Tasse geschenkt bekommen, allerdings aus der heutigen Meissener Produktion. Ich weiß, dass manche Mitarbeiter der Manufaktur solche Stücke zu Hause haben. Das finde ich großartig. Denn auch so wird Tradition bewahrt. Es grenzt doch an ein Wunder, dass sich einer vom Jahrgang 1700 Gedanken machte über ein Service und dass es Menschen gibt, die diese Idee weitertragen bis heute. Diese Kultur der Wertschätzung, die berührt mich tief. Dass es einen Konsens gibt, so etwas zu behüten, zu erforschen, auszustellen. Und auch wer damit handelt, der bewahrt es letztlich.
Manche der über 2.300 Teile, die mit dem Zweiten Weltkrieg in alle Winde verstreut wurden, tauchten bei Auktionen wieder auf. Warum meldeten die Brühls nicht ihre Ansprüche an?
Vielleicht haben sie es sich nicht getraut? Sie hatten nach dem Krieg alles verloren, ihre Güter, ihre Möbel, ihre Kunstwerke, letztlich ihre Existenzgrundlage, ihre Heimat. Da ist man nicht streitbar. Da fühlt man sich verunsichert, machtlos und moralisch am Ende. Es ist doch oft so, dass man sich schuldig vorkommt, wenn einem Unrecht geschieht.
Mit Schloss Pförten verloren die Brühls auch den Familiensitz, den Heinrich von Brühl 1740 gestiftet hatte. Das Anwesen liegt im polnischen Brody. Haben Sie deshalb Slawistik studiert und Polnisch gelernt?
Oh nein! Mein Vater war Diplomat in Polen, wir haben die Solidarnosc-Bewegung hautnah miterlebt. Davon war ich so begeistert, dass ich Polnisch gelernt habe. Wir hatten auch Kurse in Geschichte. Dort habe ich zum ersten Mal von der sächsisch-polnischen Union gehört. Ich wusste nichts von Pförten, nichts vom Schwanenservice, nichts über Heinrich von Brühl. Meine eigene Geschichte musste ich mir erst anlesen. Ich weiß nur, wie mein Großvater lebenslang gelitten hat unter der Vertreibung aus seiner Heimat.
Schreiben Sie deshalb in Ihrem Buch ein Plädoyer für heutige Flüchtlinge?
Am liebsten hätte ich jeden Flüchtling umarmt, der es bis zu uns geschafft hat. Da spielt meine eigene Erfahrung mit. Eine Diplomatenfamilie muss sich ständig neu orientieren an unbekannten Orten. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Millionen Deutsche nach dem Verlust ihrer Heimat eine neue Zuflucht fanden. Sie waren auf Hilfe angewiesen. Das sollten wir uns viel stärker bewusst machen. Wir sollten wissen, wie es Fremden geht.
Das Gespräch führte Karin Großmann.